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Wo und wie wird die ganze Geschichte des Rheinischen Reviers erzählt?:Podium im Cafe Nr 5 diskutierte eine möglichst vielschichtige Aufarbeitung der Jahrzehnte im Zeichen der Braunkohle

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Seit vielen Jahrzehnten ist im Rheinischen Revier im industriellen Umfang Braunkohle abgebaut worden. Diese Zeit neigt sich dem Ende zu. Wie wird künftig darüber gesprochen? Wird sichtbar bleiben, wie stark die Eingriffe in Umwelt, Natur und Klima waren? Werden auch die zu Wort kommen, die ihre Heimat verloren? Wie wird die Geschichte des Widerstands erzählt werden?
Datum:
26. Juni 2025
Von:
Thomas Hohenschue

Fragen, die zwar theoretisch klingen, aber tatsächlich ganz praktisch auf der Tagesordnung stehen. Denn es werden zurzeit Besucher- und Informationszentren entwickelt, so z.B. in Holzweiler und Frimmersdorf. Dabei wiederholt sich das, was schon den Strukturwandel insgesamt prägt: Die Zivilgesellschaft wird bislang völlig unzureichend an der Konzeption beteiligt.

Ausgangspunkt einer Podiumsdiskussion im Cafe Nr 5 im Berverather Schwalbenhof am 25. Juni 2025, moderiert von der Landtagsabgeordneten Antje Grothus. Sie brachte wie die meisten Gäste des inspirierten, offenen Austauschs eine Lebensgeschichte ein, die vom vielfältigen Widerstand gegen den extensiven Braunkohleabbau in der Region geprägt ist.

Wenn Geschichte erzählt wird, geht es auch immer um die Deutungshoheit. Erst als der Widerstand rund um den Hambacher Forst und Lützerath die Schlagzeilen eroberte, nahmen viele Menschen wahr, was sich rund um die riesigen Tagebaue seit Jahrzehnten ereignete. Diese Stille über die massiven Eingriffe in Natur und Heimat sowie Umsiedlungen mutet im Rückblick merkwürdig an.

Es ist der Mut zur Ruine gefordert

Das Verdrängen und Ausblenden dürfe sich beim künftigen Blick zurück nicht fortsetzen, lautete ein Fazit des Podiums, es sollen auch die dunklen Seiten der Reviergeschichte geschildert werden. Dr. Marcel Schumacher vom Kunsthaus NRW forderte die Verantwortlichen auf, "Mut zur Ruine" zu zeigen, also erzählerisch wie ästhetisch die Brüche sichtbar zu machen. Der Widerstand in seiner Breite zwischen bürgerlich und ungehorsam sei selbst ein Kulturwert, den es zu erhalten und zu zeigen gelte.

Prof. Dr. Ove Sutter von der Universität Bonn würdigte den Beitrag, den Kunst und Kultur zu einer Aufarbeitung der Konflikte, Risse und Brüche in der Regionalgeschichte beisteuern können. Die Lebensgeschichten der Menschen, die den Protest gestaltet haben und ihn weiter gestalten, zeugten von alternativen Wegen, mit Mensch und Natur umzugehen. Auch das sollte erzählt werden.

Der Landschaftsverband Rheinland bringt in die entstehenden Zentren sein Projekt "geSCHICHTEN" ein, wie Dr. Kerstin Schierhold berichtete. Dieses holt beharrlich Berichte und Gegenstände von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein und macht diese in Ausstellungen und digital zugänglich. Dieses Nebeneinander von Erzählungen zeige lebensnah die Vielfalt von Perspektiven.

Die Geschichte von unten schildern

Bei der geschichtlichen Aufarbeitung brauche es dringend Zugänge und Formen, die auch die benachbarte Bevölkerung einbeziehen und mitnehmen. Das war der drängende Appell von Astrid Wolters. Ihr Heimatverein der Erkelenzer Lande bringt sich entsprechend ein. Auch er sichert Zeitzeugnisse, in Wort, Bild und Artefakten, um den Wandel zu dokumentieren.

Die Podiumsdiskussion leistete wertvolle Impulse und sortierte Gedanken und Gefühle. Sie zeigte zugleich, dass sich die Geschichte von Ausgrenzung und Benachteiligung fortzusetzen droht. Die Wahrnehmung: Während kleine Kulturinitiativen um jeden Euro öffentlicher Förderung kämpfen müssen, sei für schicke Zentren, die intransparent geplant werden, jede Menge Geld da.

Es wurde spürbar: Es braucht solche Orte wie das Cafe Nr 5, in denen die Geschichte "von unten" erzählt wird. Die Diskussion bildete die Finissage einer Pop-up-Ausstellung der Initiative "Buirer für Buir". Begleitet von einem Rahmenprogramm, gab "die hambitionierte Ausstellung Begegnung & Bewegung an der Kante" ein gutes Beispiel für das kreative Potenzial im Widerstand.

Finissage Hambitioniert

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